Alte Waage

Aus Bauwissen


Alte Waage

Alte Waage, 2019
Standort 52°16’3.275“N; 10°31’11.437“E

52.2675763; 10.5198436 [1]

Städtebauliche Einordnung Solitärgebäude zwischen Wollmarkt und Alte Waage
Bauaufgabe Errichtung Waag- und Speicherhaus; Rekonstruktion und Neubau der Alten Waage
Baujahr 1534; Rekonstruktion und Neubau 1991-1994
Epoche Frühe Neuzeit, Moderne
Architekt/Rekonstruktionsbau -; Justus Herrenberger
Ingenieur Dipl. -Ing. Paris, Dipl.-Ing. Heinicke
Bauherr Karl-Heinz Paris
Beteiligte Firmen Architekturbüro HMP, Munte
Nutzung Waag- und Speicherhaus; urspr. Verwaltungs- und Schulungsgebäude der

Volkshochschule e.V. Braunschweig

Konstruktion Fachwerk
Gebäudetyp Öffentlicher Bau
Baumaterial
Oberflächen

Baubeschreibung

1534

Das Gebäude bestand aus einem ca. 6,00 m hohen Erdgeschoß mit teilweise galerieartigem Zwischengeschoß, zwei jeweils ca. 2,75 m hohen Obergeschossen und dem ca. 9,00 m hohen Dach mit zwei Speicherebenen. Man vermutet das aufgrund der Masse und des Gewichtes die Baumeister für das Tragwerk extra hohe und sehr kräftige Ständer, Balken und Unterzüge benutzt wurden. Auffällig ist, dass die Form der Holzkonstruktion über vier Jahrhunderte bis zur Zerstörung außerordentlich treu geblieben ist und die nicht, für die damalige Zeit erbauten Konstruktionen die typischen Senkungen aufweiste. Die Konstruktion zeigte eine nahezu perfekte Nord-Süd-Ausrichtung der Längsachsen und einen rechteckigen Grundriss auf. Für die Errichtung der Fundamente und die bis zum ersten vorkragenden Stockwerk hinaufreichende nördliche Mauerwand sind große Mengen an Mauerstein benötigt worden. Die Steine stammten unteranderem aus Abschnitten der baufälligen Heiligen-Geist-Kapelle und Kalksteinen aus Königslutter am Elm. Die Herkunft der verwendeten Massen an Holz ist nicht bekannt. Das Dach des Waage- und Speichergebäudes war vermutlich mit Krempziegeln bedeckt, welche üblicherweise im 16. Jahrhundert benutzt wurden. Es ist davon auszugehen, dass diese aus der städtischen Ziegelei am Kreuzkloster auf dem Rennelberg stammen. In großen Mengen wurden außerdem Lehm, Kalk, Ziegelgrus und Erde benutzt, die Materialien dienten als Bettungsgrund für Ahorn- oder Erlenholzdielen für die ebenen Stockwerke. Die oberen Stockwerke und Dachspeicher sind mit Dielenbohlen versehen gewesen. Die zwei in das Dach eingefügten Zwerchhäuser, ein drittes wurde Mitte des 19. Jahrhunderts hinzugefügt, sind 1534 als Dacherker erwähnt. Das Waage- und Speicherhaus hatte an der nördlichen Seite eine breite Tordurchfahrt. Das Gebäude konnte darüber hinaus durch zwei an der West- und Ostseite gelegenen eisenbeschlagenen Tore etwa in der Gebäudemitte betreten werden. Im Gebäude befand sich, neben den Speicher- und Waagräumlichkeiten, eine Wohnung mit Kammer, Küche und Dornse. Des Weiteren ist aus Baurechnungen bekannt, dass der Waage- und Speicherneubau einen Keller mit flachen Balkendecken besessen hat, der zu der Wohnung gehörte. Die Wohnräume verfügten über verglaste Fenster und die Dornse über einen Kachelofen. Eine hölzerne Treppe führte zu den oberen Stockwerken. Zum Wiegen war das Gebäude mit einer Balkenwaage ausgestattet, anzunehmen ist, dass es sich um eine schwere gleicharmige Waage handelte, wie sie für das Abwiegen großer Lasten und sperriger Güter benötigt wurde. Als Lastenaufzug für Güter, welche von der Straße zu den Lagerstockwerken und Speicherböden zu heben waren, wurde auf dem Dachboden in einer der beiden Zwerchhäuser eine Lastenwinde eingerichtet.

Rekonstruktion 1991-1994

Lange Jahre blieben die Trümmerfelder unbebaut bis 1953/54 große Teile der Platzrandbebauung in Form von Wohnungsbau verwirklicht worden ist. 1987 wurde dann erstmals über einen Neubau auf dem Gelände der ehemaligen Alten Waage gesprochen. Aufgrund dessen, dass man nicht genau wusste, wie das Innere des Gebäudes ausgesehen hatte, hat man hat sich aus statischen und funktionellen Gründen dazu entschieden eine Doppelstützenreihe zu bauen. Die Konstruktion des Dachstuhls wurde aus Gründen der Feuersicherheit wegen aus Eiche gebaut. Das tragende Fachwerkgerüst, die Außenhaut mit Ziegelausfachung, die sprossengeteilten und bleiverglasten Fenster, die Tore und Ladeluken sowie die Dachhaut sind in historischen Konstruktionen ausgeführt worden. Im Gegensatz dazu sind der Innenausbau, die Trennwände, die Raumtüren, die Innentreppen, Geländer und Handläufe, sowie alle Leuchtkörper und die komplette Möblierung in modernen Konstruktionen und Formen gehalten. Die Ausfachungen in Ziegelmosaik sind nach dem Vorbild des Ausbaues von 1860 von Karl Heinz Paris gezeichnet und später auf die Mauer übertragen wurden, sodass die Steine genau geschnitten werden konnten. Vorher ist ein Backstein in Sonderformat entwickelt, dessen Verhalten perfekt auf das Braunschweiger Klima angepasst ist. Die Dachflächen sind mit Braunschweiger Linkskrempern gedeckt. Der First, die Grate, Ortgänge und Gauben erhielten Naturschieferdeckung. Für die Regenrinnen und die Schneefanggitter wurde Kupfer verwendet. Der Sockel ist mit Kalkstein, in der für Braunschweig typischen groben „Flächenstruktur“, verkleidet. Das Erdgeschoß hat Natursteinfußböden erhalten, die Obergeschosse sind mit Parkettschiffböden ausgelegt. Die nach historischem Vorbild nach außen schlagendem Sprossenfenster sind als Kastenfenster mit dreifacher Verglasung ausgebildet. Das große Dach ist als Warmdach mit Diffusionsschichten konstruiert.

Bau- und Nutzungsgeschichte

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Alte Waage nach Restaurierung durch Friedrich Maria Krahe, 1861

Das Waage- und Speichergebäude von 1534 löste die für das 14. und frühe 15. Jahrhundert zuständige Zollbude neben dem Neustadtrathaus in ihrer Funktion ab. Alle zur Verzollung bestimmten Handelswaren und Marktgüter einheimischer Bürger und fremder Kaufleute mussten nun zur städtischen Waage in die Neustadt auf den Wollmarkt, nur wenige Meter von der Andreaskirche entfernt, gebracht und dort gewogen werden. Der Neubau hatte neben seiner eigentlichen Aufgabe als Waagehaus auch die Funktion eines Speichergebäudes für Getreide und Mehl. Das Gebäude hat der Stadt als Vorratshaltung gedient. Nach der Unterwerfung der Stadt Braunschweig im Sommer 1671 unter Herzog Rudolf August von Braunschweig-Wolfenbüttel ist es zu einer Neuordnung gekommen, durch die die Alte Waage ihre Aufgabe als öffentliche Wiegestätte an den herzoglichen Packhof abgegeben hat, nur bei besonderem Bedarf diente die Alte Waage dem Packhof noch als Außenstelle. Mit der Verordnung 1823 durch König Georgs IV. als Vormund Karls II. wurde ein jährlich stattfindender Wollmarkt eingerichtet, somit wuchsen dem Neustädter Fachwerkbau neue Aufgaben zu. Das Haus diente für die Dauer des Marktes den Wollverkäufern als Kaufhalle und Wiegestätte. Ab Mitte des 18. Jahrhunderts haben die Speicherböden der Alten Waage als Kornböden der Fürstlichen Kammer oder dem Militär gedient. Das Fachwerk befand sich Mitte des 19. Jahrhunderts in einem verwahrlosten Zustand. 1855 wurde das mittlerweile sanierungsbedürftige Fachwerkhaus vom Herzoglichen Hofbaurat Friedrich Maria Krahe, einen Sohn des Architekten Peter Joseph Krahe, aufwendig restauriert, dabei wurden historische Veränderungen vorgenommen. Mit Beendigung des Wollmarktes am 2. Januar 1900 verlor die Waagestätte für den Braunschweiger Handel mehr und mehr an Gewicht. In den 1920er Jahren wurden die Speicherböden an private Interessenten verpachtet, die dort eigene Warenlager einrichteten. Bevor am 27. Juni 1939 ist die Alte Waage als ein Heim der Hitler-Jugend eingeweiht worden ist, standen erneut umfangreiche Baumaßnahmen bevor. Mehrfach durch Bomben getroffen und in der Nacht vom 14. zum 15. Oktober 1944 vollständig zerstört, wurde nahezu gleichzeitig mit dem 50. Jahrestag der Zerstörung die Rekonstruktion der Alten Waage abgeschlossen und das wiedererrichtete Gebäude der Waage des Weichbildes Neustadt der Volkshochschule Braunschweig e. V. als Sitz der Verwaltung übergeben.


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Alte Waage, 1912
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Alte Waage nach Umbau 1934/35


Architekturwettbewerb

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Platzbereich Wollmarkt/Alte Waage vor Wiederaufbau der Alten Waage


1946/1947 ging es zunächst um die grundsätzliche Frage: „Wiederaufbau der lieben alten Fachwerkstadt oder zeitgemäßer Neubau?“ Dazu die nächste Frage: „Alte „Alte Waage“, überhaupt keine „Alte Waage“, moderne „Alte Waage“ als Skelettbau aus Stahlbeton oder Stahl mit viel Glas?“ Bei all den Fragen blieb es dann auch erstmal und es passierte lange Zeit nichts.

Nachdem es 1987 gelungen war, die Neustadt in das Städtebauförderungsprogramm aufzunehmen und damit Land und Bund in die Finanzierung einzubinden, herrschte zunächst noch Zuversicht. Dass die offizielle Denkmalpflege sich für das Projekt nicht interessiert, „die neue Alte Waage sei kein Baudenkmal“, war zu erwarten. Als später der Bebauungsplan festgesetzt wurde, hatten nun die Nachbarn eine Rechtsgrundlage gegen den Bebauungsplan zu klagen, die Gebäudeabstände seien zu knapp. Die erste Instanz verlor die Stadt vor dem Verwaltungsgericht, erst mit Eintreffen der Begründung für die Ablehnung konnte das Bauprojekt starten. Innerhalb des verantwortlichen Architekturbüros und mit dem Hochbauamt wurde darüber diskutiert, welcher Zustand der Alten Waage rekonstruiert werden soll. Man hat sich dafür entschieden, das Gebäude so wie es vor der Zerstörung 1944 aussah, wiederherzustellen, allerdings mit einigen geringfügigen Korrekturen bei der Teilung der Fenster und der Dachluken.


Einordnung in das zeitgenössische Bauen/Konstruieren

Auch wenn einige Bürger, vor allem direkter Nachbarn der Alten Waage in Braunschweig, gegen den Neubau und die Rekonstruktion der Alten Waage 1996 waren, kann man sich das Gebäude nicht mehr aus der Stadt Braunschweig wegdenken. Aufgrund dessen, dass das Fachwerk nun eine andere Funktion hat und man zudem heutzutage viel mehr Möglichkeiten hat und dazu bauliche Vorgaben und Regeln beachten muss, unterscheidet sich das Gebäude vor allem in Aufbau und den verwendeten Materialien zu seinen Vorgängern. Der erste Bau von 1543 ist der Spätgotik (Schnitzwerk: Spätgotik) zu zuordnen, alle Umbauten danach sind jeweils den einzelnen Epochen zu zuordnen bis 1996 das Fachwerkhaus von Grund auf neugebaut, wobei alte Konstruktionen und Züge beachtet worden sind.

Bilder

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Neue Form der Alten Waage als Querkörper vor dem Fuß des Turmes, Walter v. Fallersleben, Braunschweig, 2. Preis
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Verzicht auf eine Wiedererrichtung der Alten Waage, Architekt Vollmann, Braunschweig

Quellen

  • Braunschweiger Werkstücke – Die Alte Waage in der Braunschweiger Neustadt, Im Auftrag der Stadt Braunschweig herausgegeben von Manfred R. W. Garzmann
  • Orte des Erinnerns in Braunschweig, Rundgänge zu Gedenkpunkten 1933-1945 / Silke Böhmen, Dr. Ingeborg Gerlach, Frieder Schöbel
  • Alte Waage 1534-1944-1994 – Festschrift, Prof. em Dr.-Ing. Justus Herrenberger, Dr. Konrad Wiese, Dr. Wolf Schmidt, Friedbert Trau