Jakobs-Kemenate

Aus Bauwissen

Die Jakobkemenate

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Außenansicht der Jakob-Kemenate heutzutage
Standort Braunschweig 38100, Jakobstraße 3, 52°15'43.0"N 10°31'07.1"E

[1]

Städtebauliche Einordnung Weichbild Altstadt
Bauaufgabe Wohn- und Schutzbau
Baujahr Altbau zwischen 1248 und 1256, Neubau 2006
Epoche Romanik
Architekt Neubau: O.M. Architekten; Jörg Plickat
Ingenieur GP Grossert Planungsgesellschaft
Bauherr Katrin und Joachim Prüsse
Nutzung Ausstellungs- und Begegnungszentrum
Konstruktion Massivbau: Bruchsteinmauerwerk mit Holzbalkendecken und Satteldach
Gebäudetyp Privatbau: Kulturstätte
Baumaterial Rogenstein, Kalkstein, Eichenholz
Oberflächen Sichtmauerwerk

Baubeschreibung

Die Jakob-Kemenate ist die besterhaltene Kemenate Braunschweigs. Sie befindet sich im Weichbild Altstadt und ein noch vollständig erhaltendes Drillingsfenster auf. Im Vorfeld ihrer Sanierung 2006/2007 wurde sie bauhistorisch intensiv dokumentiert. Sie ist ein Dialog aus mittelalterlichem Baudenkmal, zeitgenössischer Architektur und moderner Kunst.

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Rekonstruktion der historischen Jakobkemenate (rot) mit Eckverquaderungen neben dem Vorderbauwerk

Kemenaten sind Teil des mittelalterlichen Bebauungsschemas Braunschweigs seit dem letzten Viertel des 11. Jahrhunderts. Die Kemenate und ein Vorderhaus bilden ein Doppelhaus, wobei die Kemenate rückwärtig an das straßenseitige Vorderhaus angebaut ist. Die Stockwerke sind vom Vorderhaus oder über externe Zugänge zugänglich. Das Vorderhaus bestand häufig aus Fachwerk, selten aus Stein (Typ Saalgeschossbau). Ältere Fachwerkbauten wurden im Verlauf der Zeit durch Massivbauten ersetzt. Kemenaten folgten einem festen Bautypus: ein Keller und ein Erd- und Obergeschoss, welche jeweils einen großen Raum bildeten. Die Mauern waren 0,5-1,0 m dick und aus regionalem Rogen- und Kalkbruchstein. Holzbalkendecken trennten die Geschosse. Sie besaßen einen nahezu quadratischen Grundriss von 6-10 m Seitenlänge. Die Dächer wurden mit Steinplatten oder Ziegeln „hart“ gedeckt. Sie besaßen einen beheizten Raum, woher sich der Begriff Kemenate (lat. „caminata“ = „beheitzter Wohnraum“) ableitet. Ihre Zweckbestimmung leitet sich aus Lage, Bauweise und Ausstattung ab. In Zeiten häufiger Feuersbrünste und sozialer Ungleichheiten bildeten sie einmal einen Schutzraum vor Bränden und Eindringlingen und gleichzeitig einen angenehmen Wohnraum. Da die Errichtung von Steinbauten im Vergleich zu Holzbauten deutlich aufwändiger war, waren Kemenaten ausschließlich Mitgliedern der Oberschicht vorbehalten. 1450 wurden in Braunschweig 150 „größere Steinbauten“ einschließlich der Kemenaten erfasst. 1926 wurden 101 Kemenaten gezählt. Die Denkmaltopografie Braunschweigs führt gegenwärtig 4 Kemenaten auf. 9 sind erhalten.

Bau- und Nutzungsgeschichte

Der Bau der Jakob-Kemenate wird nach dem Alter der Holzbalkenlage über dem Erdgeschoss zwischen 1248 und 1256 datiert. Sie ist ein zweigeschossiger Steinbau und bildete mit dem Vordergebäude ein Doppelhaus, welches zum Gebäudeensemble um einen Hof des Patrizier-Grundstückes Jakobstraße 3 gehörte. Das Vorderhaus grenzte giebelseitig an die Jakobstraße. Sie diente damals als Fluchtpunkt vor Feuer und Überfällen und als Repräsentations-, Speicher- und Wohnbauwerk.

1765 wurde die „Herzögliche Leihhausanstalt“ von Herzog Karl I. gegründet und die Kemenate wurde zu einem Leihhaus. Sie gilt als Vorgängerin der Braunschweigischen Staatsbank, welche in die Norddeutsche Landesbank aufging. Dieses „älteste Bodenkreditinstitut Deutschlands“ diente „zur Förderung von Handel und Gewerbe, aber auch der privaten Bautätigkeit.“ Im Oktober 1944 wurde die Kemenate im Zweiten Weltkrieg schwer beschädigt. Die restliche Bebauung des Grundstücks ging verloren, die Kemenate wurde mit einem behelfsmäßigen Dach gesichert.

Sie diente zunächst als Notunterkunft und später als Lagerraum. Aus Sicherheitsgründen wurden die aufragenden Giebeldreiecke der Kemenate abgetragen. Das Gebäude erhielt ein flach geneigtes Satteldach mit Bahnendeckung. Die westliche Hälfte des Erdgeschosses wurde mit halbsteinigen Wänden in zwei Zimmer abgeteilt.

2001 wurde das Gebäude von dem Unternehmer Jochen Joachim Prüsse erworben. Es wurde bauhistorisch untersucht, umgebaut, restauriert und ein neues Vorderhaus errichtet. Am 20. Oktober 2006 wurde die Jakobkemenate wieder eröffnet. Sie wird als modernes Kunst- und Begegnungszentrum genutzt, in welcher Ausstellungen, Musikveranstaltungen, Lesungen und Fortbildungen stattfinden. Das neue Vorderhaus wird als Wohnung genutzt. Aufgrund der besonderen geschichtlichen, baukünstlerischen und städtebaulichen Bedeutung ist die Kemenate ein Baudenkmal.


Einordnung in das zeitgenössische Bauen/Konstruieren

Architektur

Die Jakob-Kemenate folgt dem Bebauungsschema und Bautypus der Braunschweiger Kemenaten vollständig. Zugang hat man über den Vorderbau. Das alte Vorderhaus bestand aus Fachwerk und war ein Teilmassivbau.

In der Südwand im Obergeschoss besitzt die Kemenate ein Drillingsfenster mit Dreipassbogenstürzen und Teilungssäulchen. Aufgrund erhaltener Zwillings- und Drillings- fenster mit Kleeblatt- und Dreipassbogenstürzen und eingestellten Säulen mit Kelchblatt und Kelchkapitellen wird es ins 13. Jahrhundert datiert. Bis in die Neuzeit war es vermauert und wurde bei der Renovierung teilweise freigelegt. Zum Schutz erhielt es eine vitrinenartige äußere Verglasung. Da sich auf der freigelegten Wand Renaissance-Bemalungen befanden, wurde das Fenster nur zur Hälfte freigelegt und bewusst eine „scharfe“ Schnittfläche gesetzt. Basen und Kapitelle sind von hoher plastischer Qualität. Der untere Teil des romanischen Kapitells ist in Kelchform mit Blattranken geschmückt und der obere Teil als Quadratblock ausgebildet.

In beiden Stockwerken befinden sich in der Westfassade jeweils 2 quadratische Fensteröffnungen von 1,50 x 1,50 m. Die Laibungen sind weitgehend sauber in das umgebende Mauerwerk eingebunden und waren zu Zeiten als Leihhaus vergittert. Die späteren Eichenstürze waren bis zum Umbau 1727 Kleeblattbogenstürze wie bei dem erhaltenen Drillingsfenster in der Südwand.

Westlich der Erdgeschosstür befindet sich eine Nischenöffnung. Farbfassungsbefunde an den Wänden wurden erhalten. Als Nachbildung des früher erhaltenen Rauchabzuges wurde im Obergeschoss bei der Renovierung ein glasgedeckter Schacht eingebaut, welcher sich aus dem erhaltenen Schornstein „entwickelt“. Die Tür im Obergeschoss besitzt ein leicht spitzbogisches Gewände aus Werksteinen. Der ebenerdige Eingang ist stark überformt. Die Giebeldreiecke besaßen zwei Doppelfenster mit Würfelkapitellen.

Die Architektur des Neubaus wurde von O.M. Architekten und Jörg Plickat entworfen. Es wurde ein modernes Vordergebäude entworfen, welches über einen Glasgang mit der Kemenate verbunden ist. Es wurde auf den Grundmauern des ehemaligen Vordergebäudes errichtet und fügt sich in das Raumgerüst der Kemenate und des zerstörten Vorderhauses ein. Der Kontrast zwischen erhaltenen und neuen Bauteilen wird durch eine Dialektik zwischen Stahl im Neubau und dem historischen Stein-Mauerwerk gefördert. Die historischen Wände wurden im vorgefundenen Zustand belassen. Sichtbare Mal-, Putz-, und Umbauspuren eröffnen den Besuchern einen Einblick in die Bauwerksgeschichte.

Zur Darstellung der historischen Doppelhaussituation und der gemeinsamen Nutzung beziehen sich Alt- und Neubau nach Lage, Kubatur und Materialwahl eng aufeinander. Neue Bauteile sollten in nur geringer geringer Zahl gestaltet sein und altes gesichert und, wenn möglich, repariert werden. Die Kemenate selbst wurde saniert. Die Treppenanlage befindet sich, dem historischen Schema folgend, im gläsernen Foyer im Zwischenbau, so dass ohne Eingriff in die Substanz das Obergeschoss der Kemenate erschlossen werden kann. Das moderne Vorderhaus nimmt das Foyer, eine Wohnung und alle Nebenräume wie Küche, Garderobe, Technik und WC auf. Somit können die Stockwerke der Kemenate historisch ungeteilt bleiben.

Die Zusammenführung der Kemenate und des Neubaus wird durch die Verwendung gleichartiger Materialien unterstützt. Der verwendete Cor-Ten-Stahl der Fassade des Vorderhauses wurde in die Dachgestaltung der Kemenate übertragen. Das ursprüngliche Raumprofil wurde bis auf den Einschnitt des Foyers erhalten und erzeugt eine Raumsituation, die an die ursprüngliche Situation mit dem alten Hof erinnern soll.

Das Vorderhaus besitzt eine thermisch bewegliche Fassade aus wetterfestem Cor-Ten-Stahl, welche von Jörg Plickat entworfen wurde. Sie ist der mittelalterlichen Technik entlehnt, Tore mit Eisenplatten zu vernageln. Sie wurde mit über 20.000 Nägeln befestigt und ergibt ein mosaikartiges Kunstobjekt. Der Stahl symbolisiert Schutz und Vergänglichkeit. Die historische Fensterteilung des Vorderhauses wurde abstrakt umgesetzt. Ein einheitlicher Natursteinbelag im Erdgeschoss der Kemenate betont die Zusammengehörigkeit der drei Gebäudeteile.

Konstruktion

Der Grundriss der Kemenate beträgt 9,75 m x 9,00 m bei einer Traufhöhe von 8,00 m. Die Kemenate wurde mehrfach umgebaut. Über dem Erdgeschoss der Kemenate befindet sich eine historische Eichenbalkenlage. Das Fälljahr, welches auf zwischen 1248-1256 datiert wird, ist für die Datierung des Gebäudes zulässig, da es homogen in das Mauerwerk eingebunden ist. Die Eichenbalkenlage ist in Nord-Süd-Richtung gespannt. Das Deckengefüge befindet sich auf einer eichenen Mauerlatte. Die Balken haben im Durchschnitt einen Querschnitt von 32x32 cm. Ein eichenes Unterzuggefüge wurde nachträglich 1727 eingebaut. Im Obergeschoss befand sich unter dem Dachtragwerk eine äquivalente Bundbalkendecke in Ost-West-Richtung, welche jedoch verloren ging. Die Balkenlöcher sind noch im Mauerwerk erkennbar.

Die Außenmauern der Kemenate sind durchschnittlich 1 m dick und bestehen aus Bruchsteinmauerwerk mit hohem Rogensteinanteil. Die freistehenden Gebäudekanten sind mit Eckverquaderungen abgeschlossen. Sie nehmen den Seitenschub des Bruchsteinmauerwerks auf und bestehen aus größeren Kalksteinquadern. Der Keller besitzt ein zweischiffiges Backsteingewölbe aus dem 16. Jahrhundert. Die hofseitige, östliche Traufwand des Vordergebäudes bestand im Obergeschoss aus Fachwerk und war im Erdgeschoss ein Massivbau.

Vor der Restaurierung war die alte Bausubstanz durch aufsteigende Feuchtigkeit stark angegriffen. Die alten Deckenbalken im Erdgeschoss waren von ihrem Zustand und ihrem Querschnitt noch in der Lage, künftige Deckenlasten aufzunehmen. Die Auflager waren jedoch erheblich feuchtigkeitsgeschädigt. Zur Sicherung der Deckenauflager wurden zwei Doppel-T-Profilträger im Abstand von 1 m zur Wand eingezogen. Die Mauerlatten mit einem Substanzverlust von über 50% wurden so entlastet und anschließend durch Festigungsmaßnahmen erhalten. Die Kemenate erhielt im Dachraum ein weiteres halbes Geschoss und wurde mit einem Satteldach abgeschlossen. Die provisorischen Wände aus der Zeit nach dem zweiten Weltkrieg wurden entfernt.

Die historischen Putzflächen wurden mit dispergiertem Kalkhydrat und durch Benässung mit Kalkmilch gefestigt. Auf alle steinsichtigen und fassungsfreien Putze wurde Kalkmilch mit geringer Pigmentierung aufgetragen.

Historische Wertschätzung

Laut Internetseite der Jakob-Kemenate handle es sich bei dem Bauwerk um ein „[...] einzigartiges Ensemble aus mittelalterlichen Baudenkmal, zeitgenössischer Architektur und moderner Kunst.“ [2] Bei dem Neubau der Jakob-Kemenate handelt es sich um ein ästhetisch ansprechendes Bauwerk. Im Vergleich zu Bauwerken ähnlicher Baugeschichte besitzt es jedoch keinen hohen historischen Wert oder Einzigartigkeit, da es in damaliger Zeit eine große Anzahl dieser kleineren Zweckbauten gab und es ausschließlich dem bautechnischen Standard damaliger Zeit mit einfachem Bruchsteinmauerwerk und Balkentechnik entspricht. Sie ist jedoch als mittelalterlicher Zeitzeuge für die Braunschweiger Stadthistorik von Bedeutung.

Bilder

Quellen