Kontorhaus Brachvogel
Kontorhaus Brachvogel
Standort | 52°15´08.3“N 10°29´49.8“E
52.15083, 10.29498 [1] |
Städtebauliche Einordnung | Direkt neben dem Jödebrunnen in der Weststadt |
Bauaufgabe | Büro |
Baujahr | 1899 |
Epoche | |
Architekt | F. Schönemann |
Ingenieur | |
Bauherr | Friedrich Brachvogel |
Beteiligte Firmen | |
Nutzung | Büro- und Empfangsraum |
Konstruktion | Massivbau mit steilem Walmdach |
Gebäudetyp | |
Baumaterial | Massivbau mit Putz, Holzdach |
Oberflächen |
Baubeschreibung
Das Kontorhaus Brachvogel ist ein 20 m² großes massives Gebäude mit einer vorgelagerten hölzernen Veranda mit Fliesenboden. Das Kontorhaus ist sehr aufwendig und zeittypisch gestaltet. Die geschnitzten Holzteile der Veranda sind sehr reich verziert und die Zwischenräume verglast, derzeitig sind sie zum Schutz mit Holzplatten verkleidet ist. Das gesamte Gebäude ist unterkellert und steht auf einem ebenfalls massiven Sockel. Die verputzten Außenwände sind teilweise grün gestrichen. Das steile Walmdach des Kontorhauses mit einem langen Aufschiebling ist mit Doppelmulden-Falzziegeln gedeckt. Zu Zeiten Friedrich Brachvogels schmückten ein stilisierter Drache und die Jahreszahl 1899 den First. Die Sparrenköpfe des Daches sind ebenfalls reich verziert. Die aufwendige und zeittypische Baugestaltung setzt sich auch im Innenraum des Kontorhauses fort. Über drei Stufen an der schmalen Seite des Gebäudes, welche nach Südosten ausgerichtet ist, betritt man erst die Veranda und anschließend den einzigen Raum des Kontorhauses. Mittig gegenüber der Eingangstür an der Stirnwand befindet sich ein großer offener Kamin. Alle Wände waren zu Zeiten Friedrich Brachvogels mit üppigen figürlichen und ornamentalen Ausmalungen geschmückt. Man geht davon aus, dass diese Verzierungen unter dem jetzigen weißen Anstrich noch vorhanden sind. Sowohl die Tür als auch die fünf Fenster verfügen alle über Oberlichter und geben dem Raum viel Tageslicht. Das große spitzbogige Holzfenster an der Längsseite des Gebäudes ist mit Blick auf den Jödebrunnen ausgerichtet. Es verfügt über eine Metall-Sprossenteilung und farbige Verglasung. Wie die Sparrenköpfe sind auch die hölzernen Wandpaneele, Decken und Unterzüge opulent gestaltet. An die Wandpaneele schließt sich ein hölzerner Dielenboden an. In der Mitte des Raumes befindet sich ein großer Kronleuchter.
Bau- und Nutzungsgeschichte
Die Bau- und Nutzungsgeschichte sind das, was das Kontorhaus des Unternehmers F. Brachvogel zum Unikat seiner Existenz macht. Aus der eigenen Bezeichnung 'Kontorhaus' lässt sich das Wort 'Comptoir' aus dem Französischen ableiten, was übersetzt so viel bedeutet wie 'Zahltisch'. Aus Recherchen konnte entnommen werden, dass diese Einrichtung von der Firma Brachvogel 1899 gebaut wurde, um die Funktion eines Büros, Empfangs- und Aufenthaltsraumes zu erfüllen. Als freistehende Gebäude auf einem Wiesenstück mit einer Grundfläche von 20 Quadratmetern erscheint der Massivbau als Büro eher ungewöhnlich und hebt sich so als seine Besonderheit hervor. Ebenfalls der außergewöhnliche Aufwand in externe und interne Gestaltung sowie Ausstattung machten das Kontorhaus nicht nur zu einer Seltenheit sondern auch zu einem Repräsentant der Firma Brachvogel. Bis 2011 war das Kontorhaus im Privatbesitz der Familie Brachvogel. Seitdem befindet sich das Unikat im Besitz der Stadt Braunschweig und soll in Zukunft zur Bereicherung des kulturellen Rahmens der Stadt dienen. In Planung ist eine öffentliche Einrichtung, die der Stadt Braunschweig einen Aufenthaltsort bieten soll. Ideen dazu waren beispielsweise ein möglicher Lernort für Studenten.
Die Firma Brachvogel
Die Firma Brachvogel ist ein 1866 gegründetes Holzhandelsunternehmen, welches nahezu 67 Jahre mit nordischen, galizischen, russischen sowie amerikanischen Hölzern gehandelt hat. Schriftliche Aufzeichnungen weisen drauf hin, dass die Firma Brachvogel zusätzlich zum Holzhandel um 1932 auch ein Lagerhausgeschäft betrieb. Begonnen hat die Firma in der Beckenwerperstraße und verweilte dort 20 Jahre. 1886 siedelt das Unternehmen in die unmittelbare Nähe des Westbahnhofs zur Ringgleisbahn. Der neue Standort ermöglichte Brachvogel effektiveren und effizienteren Import der Hölzer. Zusätzlich pflegte der Sohn des Unternehmers, Karl Brachvogel, ausgeprägte Geschäftsbeziehungen zu Skandinavien, welches eine intensive Bautätigkeiten in 1886 bewirkte. Die dadurch erzielten Erfolge ermöglichten dem Unternehmen die Erweiterung zum Lagerhausgeschäft. Das Lagerhausgeschäft nahm 40.000 Quadratmeter in Anspruch und war mit vier Anschlussgleisen mit dem Güterbahnhof verbunden. Dazu besaß Friedrich Brachvogel eine Güterabfertigung, sowie maschinelle Einrichtungen wie elektrische Licht- und Kraftanlagen. Diese beinhalteten 19 Schuppen und Speichern, einen Keller, 10 Nebengebäuden, Städtische Wasserleitungen und Feuermelder. Laut der Urenkelin vom Karl Brachvogel, Jutta Lüers, soll die Firma um 1933 teils ihr Ende gefunden haben. Ein Vetter des Urgroßvaters von Frau Lüers, Wilhelm Brachvogel, übernahm ein Teil des Unternehmens im Rahmen einer Pacht und führte dies unter seinem Namen fort.
Diese Holzhandlung wurde von seinem Sohn Hugo Brachvogel bis in die 50er Jahre weitergeführt bis sich das Unternehmen endgültig auflöste.
Einordnung in das zeitgenössische Bauen/Konstruieren
Kontorhäuser sind für gewöhnlich Bürohäuser, die ursprünglich zu Beginn des 19. Jahrhunderts in den Vereinigten Staaten gebaut wurden, um Finanzen von Firmen und Unternehmen zu verwalten. Solche Kontorhäuser gab es im 19 Jahrhundert auch in Deutschland. Jedoch waren diese um einiges größer als das Kontorhaus der Firma Brachvogel. Das übliche Kontorhaus entsprach seiner Zeit der Größe eines Wohnhauses und aufgrund seiner kostenaufwendigen Errichtung wurden viele Räume der Häuser gleichzeitig vermietet, während einige als Büroräume genutzt worden sind. Da das Kontorhaus Brachvogel aber etwas spezifischer auf die Bedürfnisse der Firma angepasst wurde, kann es mit dem gewöhnlichen Kontorhaus des 19. Jahrhunderts nicht exakt verglichen werden. Friedrich Brachvogel sah das Kontorhaus nicht nur als Büro, sondern auch als eine Repräsentation der Firma, sowie als ein Wertzeichen seiner Prestige, aufgrund des äußerlichen sowie innerlichen Aufwandes in Verzierung und Ausstattung. Bezüglich dessen kann das Kontorhaus der Firma Brachvogel mit Bauten der Bezeichnung 'Salettl' verglichen werden. Die Bezeichnung Salettl kommt aus dem italienischen 'Salettla' und kann ins deutsche mit 'Sälchen' oder auch 'kleiner Saal' übersetzt werden. Ein Salettl ist ein freistehender, überdachter Pavillon, welcher rund sowie eckig sein kann. In Italien war zur Mitte des 19. Jahrhunderts das Salletl ein bürgerlicher Treffpunkt, der ebenfalls mit viel Aufwand verziert wurde. Dies kommt dem Kontorhaus der Firma Brachvogel ähnlich. Jedoch kann das Salletl deutlich als Pavillon ausgemacht werden, auch wenn es in manchen Fällen im geschlossenen Zustand zu finden ist. Einige Pavillon-Bauten, die dem Bau des Kontorhauses in der äußerlichen Erscheinung nah kommen und zur selben Zeitperiode gebaut wurden, sind beispielsweise die Gartenpavillons in Radebeul, Karlsruhe sowie Bayreuth. Die Pavillons in Radebeul und Bayreuth sind beide im 19. Jahrhundert erbaut worden, während der Pavillon in Radebeul zur Mitte des 18. Jahrhundert errichtet wurde. All diese Bauten beinhalten aufwendige Malereien und sind geschlossene Räume. Außerdem dienten sie zur Repräsentation des sozialen Standes und als privater Aufenthaltsraum. Aspekte, die mit dem Kontorhaus Brachvogel verglichen werden können, jedoch nicht gleichgesetzt. Das Kontorhaus der Firma Brachvogel ist ein Unikat in seiner Nutzung sowie seinem Zweck und seiner Erscheinung. Deshalb können die gegeben Vergleiche nur als Annäherung an das 'Comptoirgebäude' gesehen werden.
Quellen
- Das Kontorhaus am Jödebrunnen, Gutachten zur Untersuchung des Bauzustandes, Sanierungsvarianten und Nutzungsmöglichkeiten, Stadt Braunschweig.
- Kontorhaus [2]
- Historische Pavillons [3]