St.Ägidien-Kirche

Aus Bauwissen

St.-Aegidienkirche

Datei:Ansicht Aegidienkirche.JPG
St. Aegidienkirche; 1478
Standort N 52°15’35.112“; E 10°31'31.238"; Höhe: 77m
Städtebauliche Einordnung Aegidienviertel
Bauaufgabe Sakralbauten
Baujahr 1278-1478
Epoche Vorindustrielle Zeit
Bauherr Gertrud die Jüngere
Nutzung Katholische Kirche
Konstruktion gotische Hallenkirche
Gebäudetyp Sakralbauten
Baumaterial Bruchsteinmauerwerk
Oberflächen Sichtbruchsteinmauerwerk

Baubeschreibung

Über die ursprüngliche romanische Kirche gibt es trotz Grabungen in den Jahren 1937 und 1949-1951 nur ein unklares Bild. Sie entsprach vermutlich dem zu ihrer Zeit üblichen Kirchentyp mit Apsidenchor, also einem Chor mit herausstehenden Kapellen, einem Querschiff und einem basilikalem Langhaus mit einer eng gestellten Pfeilerreihung. Als basilikal wird in der Kirchenarchitektur eine Kirche verstanden, deren Innenraum durch Säulen- oder Pfeilerreihen in drei oder mehr Längsschiffe geteilt ist, wobei das mittlere Schiff deutlich höher ist als es die seitlichen Schiffe sind. Angenommen wird ein kreuzförmiger Grundriss mit Querschiff und Chorjoch, also ähnlich dem heutigen Grundriss.

Der Neubau im Stil der französischen Kathedralgothik zeigt Anlehnungen an Benediktiner-Klosterkirchen, bei denen die Chöre aufwendiger gestaltet wurden, um den Mönchen an mehreren Altaren Gelegenheit zur täglichen Messe zu geben. Außerdem wurden die Kapellen an die Chorumgänge angeschlossen. An der Westseite sind noch Turmreste von zwei Türmen zu erkennen. Diese wurden jedoch nie zu einer vollen Westfront ausgebildet, da die finanziellen Mittel fehlten.

Obwohl die Außenfassaden aus abgestuften Wänden bestehen, sind im Inneren flache Wandschichten sichtbar, in die die Fenster eingesetzt wurden. Dieser flächenhafte Charakter ist typisch für die gotische Architektur der Zeit. Der Wandaufbau stellt dabei eine Verbindung zwischen der frühgotischen Zeit und dem kathedralem Gliedersystem dar.

Die Grundpfeiler mit acht Diensten, acht dünne Säulen, die zu einer verbunden sind, finden ihre Vorbilder in der spätromanischen Zeit. An den Kapitellen der Säulen befinden sich Fabeltiergestalten, Blätter, Blüten und Früchte, welche man der späten Romanik zuordnen kann. Man findet sie auch in anderen Kirchen und Domen, zum Beispiel im Magdeburger Dom oder der Zisterzienserkirche Schulpforta.

Vorbild für die Bauform sind kathedrale Grundrissformen, wie zum Beispiel beim Kölner und Lübecker Dom.


Das Langhaus wurde vermutlich ursprünglich basilikal geplant, dann aber während des Baus zu einer Hallenform umgeplant, da zu dieser Zeit alle Kirchen in Braunschweig zu Hallenkirchen umgebaut wurden. Der Unterschied zwischen einer Basilika und einer Halle liegt darin, dass bei einer Halle alle Schiffe gleich hoch sind. Während bei anderen Braunschweiger Kirchen deutliche Umbauspuren zu erkennen sind, konnte die Aegidienkirche sich frei entwickeln.

Das Langhaus ist eine vierjochige längsgetreckte Halle mit tiefquerrechtekigem Mittelschiff und längsgetreckten Seitenschifffeldern. An der Ostseite geht das Langhaus mit allen drei Schiffen in das Querschiff über.

Der oktogonale Chor wurde per Fünfachtelschluss an die östliche Seite des Querschiffs angeschlossen, das heißt vom achteckigen Grundriss wurden fünf Achtel gebaut, während die anderen drei Achtel die Öffnung zum Querschiff ausmachen. Dies und das Chorjoch sind übliche Erscheinung der Zeit. Außergewöhnlich hingegen sind der schmale Chorumgang mit schmalen Kapellen und einer geraden Außenbegrenzung. Zwar ließe die kathedrale Architektur ausstrahlende Kapellen vermuten, jedoch sind sie hier mit dem Umgang zu einer Raumzone zusammengefasst, wodurch die Raumform vereinfacht und das Raumgefüge vereinheitlicht wird.

In der Kapellenzone fallen die fehlenden Wandstrebepfeiler auf. Stattdessen leiten dünne Strebebögen die Gewölbekräfte auf die tieferen Strebemauern ab.

Die Zusammenstellung von den verschiedenen Raumformen des Kapellenchors, des Querschiffes und des Hallenlanghauses ist eigenwillig und ungewöhnlich. Sie ist jedoch an die stilistischen Erscheinungen um 1280 angelehnt. Während dieser Zeit wurde großformig gebaut und das Raumbild vereinheitlicht.


Baugeschichte

Die ursprüngliche Aegidienkirche wurde von 1115 bis 1117 gebaut und von Gertrud der Jüngeren gestiftet. Sie wurde allerdings am 12. Mai 1278 durch einen Brand zerstört.

Da die Gemeinde über ein hohes Ansehen und ausgedehnten Besitz verfügten, erfolgte nach der Zerstörung noch im selben Jahr ein aufwendiger Neubau. Nach einem schnellen Baufortschritt wurden um 1290/1300 der Chor und das Querschiff fertiggestellt. Die beiden ersten Joche des Langhauses sind vermutlich in der ersten Hälfte des 14. Jahrhunderts entstanden - dafür sprechen stilgeschichtliche Anzeichen, sowie Urkunden, die eine gute finanzielle Situation belegen. Die Inschrift „1437“ im 4. wesentlichen Mittelpfeiler der Nordseite, weist darauf hin, dass die beiden westlichen Joche im Lauf des 15. Jahrhunderts fertiggestellt wurden. Statische Unterschiede im Bau lassen vermuten, dass der Bau sogar über 1450 hinaus andauerte.

Die für das Jahr 1478 überlieferte Schlussweihe - das 200-jährige Jubiläum der Zerstörung - ist nicht urkundlich belegt.

Nutzungsgeschichte

Seit der Errichtung im Jahre 1115 und auch nach dem Wiederaufbau war die Aegidienkirche die Abteikirche des katholischen Benediktinerkonvents. Erst nachdem dieser 1528 aufgelöst wurde, da sich die Mönche der Reformation anschlossen, wurde die Kirche zu einer evangelisch-lutherischen Pfarrkirche. An die Kirche schließt ein Kloster an, welches zwischen 1542 und 1571 von Nonnen des Klosters Heiligkreuz bezogen wurde und ab 1605 als Frauenkonvent fungierte. 1718 wurde die Kirche als Garnisonkirche, also als Kirche für das in der Nähe stationierte Militär, eingeweiht und als solche genutzt, bis 1811 der Status als Pfarrkirche aufgehoben und das Inventar versteigert wurde. 1832 richtete man in den ehemaligen Klosterräumen ein Gefängnis ein, weshalb der Frauenkonvent ausziehen musste. Mangelnde Sicherheitsstandards führten 1885 zur Schließung des Gefängnisses. Die Kirche diente in dieser Zeit als Militärdepot, bis sie ab 1836 als Konzertsaal genutzt wurde.

Seit 1902 nutzte man sowohl das Kloster als auch die Kirche als Ausstellungsräume für das „Vaterländische Museum für Braunschweigische Landesgeschichte“, welches später zum „Braunschweigischen Landesmuseum“ umbenannt wurde. Das Kloster wird bis heute als Austellungsraum genutzt.

Obwohl die Gebäude im Zweiten Weltkrieg stark beschädigt wurden, zog 1945 die katholischen St. Nicolaigemeinde in den noch benutzbaren Teil des Gebäudes ein, da deren Kirche komplett zerstört wurde. Am 12.12.1948 fanden der erste Gottesdienst seit 1811 und gleichzeitig der erste katholische Gottesdienst seit 1528 in der Kirche statt. Nachdem die Kirche 1958 von der Diözese gekauft wurde, folgte 1959 die Neuweihe und 1980 die Umbenennung der Gemeinde von St. Nicolai in St. Aegidien. Eine ausführliche Beschreibung der Abläufe nach dem Zweiten Weltkrieg folgt im Kapitel „Wiederaufbau nach dem 2. Weltkrieg“.

Wiederaufbau nach dem Zweiten Weltkrieg

Am 15. Oktober 1944 flog die RAF (Royal Air Force) einen Bombenangriff auf Braunschweig. Auf diesen folgte ein zwei Tage andauerndes Feuer, das 90% der Braunschweiger Innenstadt zerstörte. Auch die Aegidienkirche wurde stark beschädigt.

Nach der Kapitulation musste das kirchliche Leben in Braunschweig neu aufgebaut werden. Verhandlungen dazu begannen bereits am 3. Mai 1945. In diesen Verhandlungen ging es unter anderem auch darum, ob die Katholiken aus der völlig zerstörten St. Nicolai-Kirche in die St. Aegidien-Kirche umziehen und die Protestanten den Braunschweiger Dom nutzen konnten. Am 1. September 1945 wurden die Verhandlungen erfolgreich abgeschlossen und die katholische Gemeinde Braunschweigs mietete die Aegidienkirche für 50 Jahre.

Die Katholiken nutzten das „Oratorium St. Aegidien“, einen großen Raum im 1. Stock des Klosters mit 280 Sitz- und ähnlich vielen Stehplätzen, da dies einer der wenigen noch benutzbaren Räume war.

Die britische Besatzungsbehörde erkannte St. Aegidien neben den vier bedeutenden Kirchen in ihrem Gebiet - Kölner Dom, St. Gereon (Köln), Paderborner Dom und Marienkirche (Lübeck) - als Vorrangbau für den Wiederaufbau an. Dadurch konnten von 1945 bis 1948 die benötigten Baumaterialien zur Verfügung gestellt werden, ohne die Mittel zu schmälern, die der Stadt Braunschweig für den Wohnungsbau geliefert wurden. Schon Pfingsten 1947 konnte Richtfest gefeiert werden und noch im selben Jahr wurde das Dach eingedeckt sowie das nördliche Querschiff und die Chorfenster verglast.

Die Währungsreform vom 20. Juni 1948 hatte auch für die Aegidienkirche erhebliche Finanzierungsschwierigkeiten zur Folge, jedoch setzten sich die Architekten Bernhard Schneemann und Wilhelm Neffgen erfolgreich für den Weiteraufbau ein.

Die Arbeiten an der Decke wurden erheblich erleichtert, als die Stahlgerüste aus dem gerade fertiggestellten Kölner Domchor nach St. Aegidien gebracht wurden.

Ab dem 1. September 1948, dem Fest des heiligen Aegidius, konnte im Chor schon das Heilige Opfer gefeiert werden und am 12. Dezember 1948 konnte auch der Rest von St. Aegidien in Benutzung genommen werden. Das erste Pontifikalamt wurde von so vielen, teils namhaften, Braunschweigern besucht, dass St. Aegidien nach Wiederherstellung (1948) die Besuchermasse nicht vom großen Raum gefasst werden konnten.

Ein altes Barockkreuz wurde als Altarhochkreuz genutzt und eine alte Dominikanerkanzel wurde zur Verfügung gestellt. Eine provisorische Orgel im südlichen Querschiff wurde vom Orgelbauer Franz Dutkowski errichtet.

An der Kirche musste aber noch einiges getan werden. So musste das Dach verstrichen werden, um Schäden zu vermeiden. Auch waren die Seitenportale nicht ausreichend, um dem großen Besucherandrang standzuhalten und genügten den polizeilichen Vorschriften nicht mehr. Daher wurde von 1953 bis 1954 nach alten Plänen des Hochbauamtes ein Hauptportal an der Westfront entworfen und ausgeführt. Dazu kam, dass der Dachstuhl wegen festgestellter Schäden in vielen Teilen erneuert werden musste. Außerdem wies das Mauerwerk Gefährdungen auf, deren Behebung monatelang Baugerüste um die Kirche zur Folge hatte. Zu guter Letzt mussten alle Wandflächen vom alten Putz befreit und neu verputzt werden.

Die nächste Baustelle war die Ausstattung der Kirche, denn seit der neuen Einweihung war die Einrichtung nur provisorisch. Es gab nur Stühle in der Kirche, welche jedoch durch die Spendenbereitschaft der Gemeinde durch ein Kirchengestühl ersetzt werden konnten. Der Tabernakel, der Aufbewahrungsort für die Hostien, wurde vom Restaurator Herzig aufbereitet. Verschiedene Museen stellten wertvolle geschnitzte Flügelaltare als Leihgaben für die Ausstattung des Chores und das Braunschweiger Landesmuseum eine kostbare Pietà, ein Marienbild aus dem Mittelalter, zur Verfügung. Dazu wurde vom Herzog-Anton-Ulrich-Museum ein Marienaltar von Hans Burkmeier aus Augsburg ausgeliehen, auf dem die heilige Dreifaltigkeit als dreikörperlicher Gott dargestellt wird. Außerdem wurde ein Kreuzweg eines bekannten Oberammergauer Künstlers angeschafft. Wegen des neuen Hauptportals mussten neue, moderne Windfänge installiert werden.

Da die Kirche ursprünglich für den Chorgesang und die feierliche Liturgie, nicht aber für Predigten, ausgelegt war, gab es akustische Schwierigkeiten, welche durch eine neue Lautsprecheranlage behoben wurden.

Am 18. Januar 1955 wurde der Mietvertrag zu einem Erbbauvertrag auf 50 Jahre abgeändert, wodurch die Gemeinde größere Rechte an der Kirche hatte und das Vorkaufsrecht besaß. Drei Jahre später, am 13. Mai 1958 konnte der Liebfrauenmünster St. Aegidien dann käuflich erworben werden. Dies war ein bedeutender Tag für die Gemeinde, der dazu noch ins Jubiläumsjahr dieser fiel.

Nun gab es neue Probleme, vor der die Gemeinde stand: Die Kirche musste gesichert werden, da mehrere Säulen schief standen und es Risse in den Wänden gab. Die Bauaufsichtsbehörde war kurz davor die Kirche zu schließen. Es wurden Experten engagiert, die die Kirche untersuchen sollten. Dabei waren unter anderem die Professoren Kristen, Harbert, Stov und Bodemüller der Technischen Hochschule Braunschweig involviert. Außerdem wurde Professor Schorn von der Technischen Hochschule Darmstadt, eine Kapazität auf dem Gebiet der Sicherung alter Gotteshäuser, aufgefordert ein Gutachten zu erstellen. Dieses Gutachten wurde von dem Statiker Professor Gaede von der Technischen Hochschule Hannover überprüft. In dem Gutachten wurde festgestellt, dass die Schiefstellung der Säulen vom Horizontalschub des Gewölbes kam und als Lösung Zuganker vorgeschlagen. Um die akute Gefährdung zu beheben, wurden zunächst Notanker eingesetzt, die daraufhin durch endgültige Anker ersetzt wurden.

Am 8. Dezember 1959 war die abschließende Neuweihe des Liebfrauenmünsters St. Aegidien durch den Bischof.


Quellen